Montag, 2. Februar 2009

Der Atem der Ökonomie


Muss der Staat die Organisation der Investitionen übernehmen?



In der Financial Times Deutschland vom 04.12.2008 meint Heiner Flassbeck, Chefvolkswirt der Unctad in Genf :
„Es ist Zeit für ein großes Konjunkturprogramm. Wenn Deutschland nicht gegensteuert, drohen Jahre der Stagnation und Deflation.“
Und weiter unten dann:
So wenig Sachverstand in gesamtwirtschaftlichen Fragen war noch nie. Samuel Brittan, der Doyen der Leitartikler in der Financial Times, schrieb vergangene Woche, es werde oft gefragt, wo das Geld herkomme, um die Konjunktur anzuregen und die Deflation zu bekämpfen. Die Antwort sei einfach: Es kommt aus den Druckereibetrieben der Bank von England, woher sonst? Die Zentralbank druckt es, die Banken verteilen es, und der Staat nimmt es und gibt es aus, weil alle anderen im Moment Angst vor der Zukunft haben. Nur so kann man verhindern, dass Deutschland und Europa ein deflationäres japanisches Jahrzehnt vor sich haben. Wann wird der erste Verantwortliche in Deutschland das verstehen?

Und am selben Tag Die Presse:
„Trotz dieses „extremen“ Rettungsprogramms werden die Industriestaaten um eine „schwere und lange Rezession“ wohl nicht herumkommen. DWS rechnet offiziell mit einem BIP-Rückgang von 1,6 Prozent in den USA und 1,3 Prozent in der Eurozone im kommenden Jahr. Diese Vorschau dürfte aber deutlich zu optimistisch sein, denn in den vergangenen Wochen habe sich die Konjunktur „in einer Weise eingetrübt, wie man das noch nicht gesehen hat“, meint Sieghart. In einigen Branchen gebe es „Herzstillstand“, Auftragseingänge seien praktisch zum Erliegen gekommen.
….. Das Hauptproblem, nämlich die „Verstopfung“ des Geldkreislaufs, ist noch lange nicht behoben. Die Notenbanken haben zwar unglaublich viel Geld in den Bankenkreislauf gepumpt, aber die Geldinstitute stecken dieses Geld nicht in Kredite für die Wirtschaft, sondern legen es wieder bei den Notenbanken an. Die Bankeneinlagen bei der amerikanischen Fed sind seit August dieses Jahres von rund 20 auf fast 600 Mrd. Dollar hochgeschnellt, die Einlagen der Euroland-Banken bei der EZB schossen von nahe Null auf mehr als 200 Mrd. Euro hoch. Erst wenn dieser Knoten „entwirrt“ sei, werde auch die Realwirtschaft wieder funktionieren. Das könne aber noch dauern.“

Josef Urschitz befürchtet in Die Presse vom 10.12.08, dass viel Geld bei der EZB verschimmelt. Denn „ein tieferer Blick in die Notenbank-Statistiken zeigt das Problem: Die Einlagen der Banken bei den Notenbanken, die seit Menschengedenken auf relativ niedrigem Niveau liegen, sind seit dem Sommer gigantisch explodiert. Bei der EZB von rund 20 auf fast 300 Milliarden Euro. Zu Deutsch: Die Banken nehmen die Milliarden von Notenbanken und Regierungen – und legen sie gegen Zinsen gleich wieder sozusagen aufs EZB-Sparbüchel, statt was Vernünftiges damit zu machen.“
So weit einige Zeugnisse an ökonomischen Sachverstand. Dementsprechend dürfen die „Konjunkturprogramme“ beurteilt werden. Sie zeugen von mangelnder bis falscher Einsicht in die Zusammenhänge, sind mehr Zufallsprodukt denn Ergebnis gründlicher Überlegungen.
Denn
1. so einfach geht das nicht mit der Bereitstellung von Geld, wie der Chefkommentator der FT meint;
2. was sollen die Banken mit dem Bargeld machen, das zur Abwendung eine Banken-Runs bereitliegt, jedoch zum Glück hierfür bisher nicht gebraucht wurde. Die Vorstellung, dass Kredittransaktionen bar im Geldkoffer abgewickelt werden, ist aberwitzig. Sie erfolgen bargeldlos. Wobei der Kredit einfach durch Verlängerung der Bankbilanz entsteht. (Hier liegt ja die Ursache der Krise: Dieses Verlängern wurde missbraucht.)
3. Der Kreislauf des Geldes wird gerne mit dem Kreislauf des Blutes verglichen. Dieser bezieht sich aber auf ein Trägermedium: Das mit Sauerstoff angereicherte Blut strömt vom Herz in alle Körperteile, gibt diesen dort ab und transportiert das mit Kohlenstoffdioxyd angereicherte Blut zurück zum Herz und von dort in die Lungen Sauerstoff wird durch das Einatmen zugeführt, so wie das Kohlenstoffdioxyd durch das Ausatmen weggeführt wird. Atmen heißt also einatmen und ausatmen.

Kehren wir zum Geld zurück. Die allgemeine Vorstellung von Geld ist: Geld ist da, und bleibt auch da. Oder wird ganz einfach von den Zentralbanken gedruckt und dann von den Banken flott verteilt. Das heißt dann auch: Ganz gleich, was mit dem Geld geschieht – außer Verbrennen -, irgendwo ist es, irgendwo muss es sein, irgendwer muss es haben. Dort ist dann anzusetzen.
Dem aber ist nicht so: So wie der Sauerstoff durch das Einatmen in den Körper kommt, kommt Geld erst über Verschulden durch Kreditaufnahmen in den Wirtschaftskörper. Wir haben ein Kreditgeld. Und leben in einer Kreditwirtschaft. Geld geht aus dem Kredit, geht aus Verschuldung hervor. Jeder Monatsbericht der Bundesbank beweist das. Alles Geld scheint in der Bankenbilanz als Verbindlichkeit auf der Passivseite auf. Auch das Bargeld. Jeder dieser Verbindlichkeiten stehen Kreditforderungen der Banken, jedem Euro steht eine Schuld gegenüber. Geld ist also nicht einfach da. Es entsteht durch Verschuldung, und verschwindet wieder durch Entschuldung.
Die Kreditaufnahme erfolgt vorzüglich durch Unternehmen. Der Kredit ermöglicht ihnen dann erst das Produzieren in der Eigentumsgesellschaft. Mit Geld wird der Zugang zu fremden Eigentum verrechtlicht. Auch der Zugang zur Lohnarbeit über Arbeitsverträge. Und so wie Geld eben nicht von vorneherein da ist, bleibt es in weiterer Folge auch nicht da. Die Unternehmen sind ja stets bemüht, ihre Schulden so rasch wie möglich wieder zu tilgen. Darum wollen und müssen sie ihre Produkte gegen Geld verkaufen, mit dem sie die Schulden tilgen können.
Geld läuft also gar nicht um. So wie das Blut. Geld ist nicht Trägermedium, sondern das, was getragen wird. Wie der Sauerstoff und das Kohlenstoffdioxyd. Das Verschulden entspricht dem Einatmen, das Entschuldung dem Ausatmen. Und so wie Einatmen und Ausatmen nicht nur einmal, sondern fortlaufend erfolgen müssen, so muss auch im Wirtschaftskörper ein fortlaufender Verschuldungs/Entschuldungsprozess ablaufen.

Dieser Prozess bekommt seine Zeit übergreifende Dynamik durch eine Vielzahl von Teilnehmern: Mit Kreditaufnahmen und damit Verschuldung der einen heute, wird es anderen durch
die Bezahlung ihrer Ware oder Leistung mit dem daraus hervorgehenden Geldes möglich, sich wieder von den schon früher gemachten Schulden zu befreien. Der Markt, angetrieben durch den Gewinn, übernimmt hier die Organisation der Investitionen, deren Voraussetzung das Vertrauen in die zukünftigen Erwartungen ist. Hierzu braucht es wiederum das Vertrauen, dass die vielfältigen Erzeugnisse von heute in allen Ebenen der Produktionshierarchie – vom Abbau des Eisenerzes über dessen Verhüttung bis hin zum Brot, zu dessen Herstellung neben vielem anderen auch Stahl im Mähdrescher oder Backofen gebraucht wird – sich dann später immer wieder sinnvoll zu einem Ganzen zusammenfügen lassen.

Aus dieser Sicht der Zusammenhänge müssten die Konjunkturprogramme entwickelt werden. Diese würden dann aber sicher anders aussehen als die derzeitigen oft sehr naiven Vorschläge. Insbesondere gilt dies für den Hauptvorschlag, dem staatlichen deficit spending.

Ich bin darauf gefasst, dass der Staat eine immer wachsende Verantwortung für die unmittelbare Organisation der Investitionen übernehmen wird“ schreibt John M. Keynes 1935 in seiner „Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Geldes und des Zinses“. Er schreibt nicht von einem deficit spending, sondern von der „unmittelbaren Organisaton der Investitionen“.
Wenn nun aber der Staat die Organisation der Investitionen übernehmen soll, dann muss er sich bemühen, diesen Investitions-Prozess in seiner Gesamtheit nachzubilden. So wie die Herz-Lungenmaschine nicht nur das Einatmen ersetzt, sondern auch das Ausatmen, muss auch der Wirtschaftskörper weiter ein- und ausatmen. Es muss neben dem laufenden Verschuldungsvorgang ein laufender Entschuldungsvorgang stattfinden. Es wird so laufend Geld in den Wirtschaftskörper fließen und von dort auch wegfließen. Wenngleich letzteres mit einer bestimmten Zeitverzögerung erfolgt, während welcher ein Sickerungsprozess in der ganzen Wirtschaft erfolgt.

Die Organisation der Investitionen manifestiert sich so in drei Punkten:
• Die Bereitstellung von ausführungsreifen Investitionsprojekten mit allen behördlichen Genehmigungen;
• Die Aufnahme von Krediten für diese Investitione und deren Realisierung;
• Die spätere Tilgung der für die Investition aufgenommem Kredite.


Hier nun gilt es den Einwand vorwegzunehmen, was denn das für einen Sinn macht, Geld in den Wirtschaftskörper einzubringen und fast zugleich wieder in etwa der gleichen Größe herauszuziehen? Was soll dieses Nullsummenspiel bringen?
Dem ist leicht zu begegnen, passiert doch dieses laufend. Auch in den vom Markt organisierten Investitionen bleibt ja das aus den Krediten hervorgehende Geld nicht ein für allemal im Wirtschaftskörper. Alle Unternehmen – und sonstigen Kreditnehmer – können ja das eingenommene Geld nicht für sich behalten, sondern müssen es an die Kreditgeber, die Banken, zurückzahlen. Das halten alle, wenngleich vielleicht auch widerwillig, für selbstverständlich.

Und es ist nur insoweit ein Nullsummenspiel, was die Höhe des eingesetzten Geldes betrifft nicht aber die dadurch erzielten Vorgänge. Das eingesetzte Geld fließt nicht an eine bestimmten Stelle in den Wirtschaftskörper, und dort wieder heraus. Der Kreditnehmer zahlt ja mit dem Geld nicht die eigenen Schulden, die eben erst entstanden sind. Das Geld fließt zu anderen Schuldnern, und ist so lange da, bis es andere Schulden tilgt. Es fließt so durch den ganzen Wirtschaftskörper und führt im ganzen Körper zu Aktivitäten und zu Einkommen.

Diese Vorgängen sind nachzubilden, wenn der Staat die Organisation der Investitionen übernimmt. Nimmt er dazu Bankkredite auf, so muss auch er diese Schulden, die für Leistungen an oder für die Gemeinschaft anfallen, so rasch als möglich tilgen. Die Bankkredite führen vorerst aber zu neuen oder zusätzlichen monetären Einkommen. Damit wird die für die Gemeinschaft erbrachte Leistung vorerst doppelt abgegolten: In monetärer Form und in Form eines Naturallohnes, der sich in der Nutzung der von der Allgemeinheit erbrachten Leistungen und Einrichtungen niederschlägt, so lange deren Nutzung kostenlos ist. Diese Solidarleistung kann dann über die ganze Gemeinschaft nicht noch zur Mehrung des individuellen Geldeinkommens führen. Diese Mehrung ist, verteilt über die ganze Gemeinschaft, wegzusteuern. Damit kommt auch denen ein Geldeinkommen zu, die individuell für die Gemeinschaft arbeiten. Insgesamt haben aber alle mehr aus der nicht verschwendeten Leistung der ansonst Arbeitslosen.

Hier sollte nun auch klar sein, dass die Konjunkturprogramme aus dieser Sicht der Zusammenhänge sich deutlich von den bisher vorgeschlagenen unterscheiden. In denen werden die vom Staat aufgenommenen Bankkredite nicht rasch getilgt – praktisch überhaupt nicht, und führen zu immer höheren Zinszahlungen.
Der gedankliche Ausgangspunkt hierfür ist, dass Geld einfach vorhanden ist, und es „nur“ zu einer Verstopfung des Geldkreislaufes gekommen ist. Die aufgenommenen Kredite greifen dabei auf das vorhandene Geld zurück, und führen es dorthin wieder zurück. Es wird also für kurze Zeit nur eine Umleitung gemacht. Man nimmt sich allerdings vor, in Zeiten des Booms etwas von diesem vorhandenen Geld abzuzweigen, um die Schulden zu bezahlen.

In der derzeitigen Finanzmarktkrise ist es deutlich geworden, dass das Vertrauen in die Banken nicht einfach diesen immanent ist, sondern letztlich vom Staat als lender of the last ressort getragen wird. Es mutet daher mehr als eigenartig an, dass der Staat verzinsliche Kredite von eben diesen Banken aufnimmt, denen er selbst erst wieder Kredit - Vertrauen – zugeführt hat. (Nicht zuletzt in dem Fall, dass er ihre Eigenkapitalbasis durch Zuführung des Geldes stärkt, das er eben über einen Bankkredit bereitgestellt hat.)
Unsere Vorstellung ist deshalb die, dass ja der Staat aus sich selbst heraus schon jenen Kredit hat, der ein Zahlungsmittel erst zu diesem macht. In diesem Sinn ist ein Vorschlag zur Einführung von Steuergutschriften – Taxos – bereits ausgearbeitet. Wir müssen die Kirche nicht um das Kreuz tragen.

Politisch gesehen, wäre derzeit ein Einstieg in ein solches System aber mit einer zusätzlichen Verunsicherung der Menschen verbunden. Praktisch braucht es diesen Schritt vorerst nicht. Die oben beschriebene Organisation der Investitionen durch den Staat ist auch schon ohne Einführung der Taxos zu machen.

Gepostet von ernst.dorfner unter 07:45 0 Kommentare

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