Dienstag, 9. Dezember 2008

Deficit spending PLUS profit collecting

DI Ernst Dorfner
Initiative Taxos
Tel. 0732 672275

Linz, Juli 2006


Herrn LHStv. DI Erich Haider
Vorsitzender der SP OÖ

Lieber Erich!

Vor mir liegt das von Dir mit herausgegebene Buch

„Besser als Neoliberaismus: Solidarische Wirtschaftspolitik“,

dessen Intentionen ich begrüsse. Ich setze mich seit mehr als 20 Jahren mit den Verirrungen des ökonomischen Mainstreams, der nahezu ausschließlich die Lehrmeinung der Neoklassik vertritt, auseinander. So habe ich auch schon seit langer Zeit kundgetan, dass das, was heute unter dem Titel „Neoliberalismus“ firmiert, kaum etwas anderes ist als die Anfang der 1930-iger Jahre vor allem in Deutschland praktizierte Spar- und Austeritypolitik eines Reichskanzler Heinrich Brüning. Ihre theoretische Begründung fand dies damals in den Schriften eines Cecil A. Pigou, der in seiner Arbeit „ The Theory of Unemployment“ (1933) die Meinung vertrat, die Ursache der Arbeitslosigkeit läge in einem Verfehlen des gesamtvolkswirtschaftlichen Gleichgewichtes zwischen Löhnen und Profiten. Hans-Werner Sinn hält das heute immer noch für richtig.

Dem ist damals John M. Keynes mit seiner „General Theory of Unemployment, Interest and Money” entgegengetreten.

Das, was nun die Autoren von „Solidarische Wirtschaftspolitik“ vertreten, ist eine Neuauflage des Keynesianismus. Dem wird aber – politisch von der konservativen Gegenseite offensichtlich sehr erfolgreich – die immer höher werdende Verschuldung des Staates entgegengehalten, welche „die zukünftigen Generationen unzumutbar belastet“. Aus dem heraus leitet sich dann das Verlangen nach einem schlanken, sparsamen Staat ab, dem die Autoren und mit ihnen die SPÖ nun auch mit der Veröffentlichung des Buches entgegentreten wollen.

„Dabei müssen wir immer wieder feststellen, dass der mikroökonomische Blick¬winkel nicht ausreicht. Genau diese Diskrepanz zwischen einzelwirtschaftlich ver¬nünftigen, aber gesamtwirtschaftlich schädlichen handlungsleitenden Prinzipen ist ein zentrales Thema unseres Buches“ (S. 8) heißt es im Vorwort. Dieser Meinung kann ich mich nur anschließen. Es braucht auch und vor allem der makroökonomischen Analyse, welche die Neoklassiker im Glauben auf den heilenden Eingriff der „invisible hand“ des Adam Smith einfach negieren.
Darum bin ich auch mit den Autoren der Ansicht, dass es des Eingriffs des Staates braucht, um in einer immer komplexer werdenden Welt erkennbare Markierungen zu schaffen, die die unternehmerischen Tätigkeiten leiten. Die Meinung von Keynes: „Ich bin darauf gefasst, dass der Staat ...... eine immer wachsende Verantwortung für die unmittelbare Organisation der Investition übernehmen wird“ hat in Zeiten der Globalisierung immer noch und umso deutlicher ihre Gültigkeit. Zum Ausdruck gebracht habe ich das auch in einem Kommentar zum Dialog-Forum Hirschwang unter dem Titel „Spielraum Staat – Staat ohne Spielraum.“ (www.sosmoney-edorfner.blogspot.com)

Die Autoren treten aber in ihrer Kritik dort zu kurz, wo es nicht nur um Glaubenssätze der Neoklassik, sondern um deren theoretischen Grundlagen geht. Diese beschreiben unsere Wirtschaft als Tauschwirtschaft, und Geld als Tauschmittel, das den Tausch von fertigen Produkten vereinfachen hilft. Wie allerdings diese zu tauschenden Produkte hergestellt werden, was dazu in einer Gesellschaft mit privatem Eigentum vorauszusetzen ist, dazu finden sich Aussagen in der neoklassischen Theorie erst nachrangig in der weiteren Ausformulierung, nicht aber bereits im Grundsätzlichen.

Diese Lehrmeinung der Neoklassik wird nun auch von denn Autoren nicht hinterfragt, womit diese offensichtlich für sie weiterhin Gültigkeit hat. Das ist nun aber deshalb so erstaunlich, weil sie sich ja recht intensiv mit Unternehmensbilanzen beschäftigen, aus denen doch deutlich werden müsste, dass dem nicht so ist. Und sie selbst auch wie selbstverständlich von etwas ganz anderem ausgehen, wie zwischen den Zeilen immer wieder erkennbar wird.

Ihre Überlegungen führen zunächst einmal zu folgender Aussage:
„Die einzig mögliche Schlussfolgerung aus den Unzulänglichkeiten der Kameralis¬tik sowie der Verschuldungskennzahlen muss die Forderung nach einem doppischen Rechnungswesen der öffentlichen Hand sein. Durch eine konsistente Bewertung der öffentlichen Wirtschaftstätigkeit kann einerseits die „Schuldendebatte" in eine wesentlich aussagekräftigere Debatte über die öffentliche Eigenkapitalquote übergeleitet werden. Andererseits eröffnet sich die Möglichkeit, auch eine „Konzern¬bilanz" der gesamten öffentlichen Aktivitäten zu erstellen, womit trotz umfassender Ausgliederungen öffentlicher Leistungserbringung ein Gesamtbild staatlicher Aktivi¬täten erreicht werden kann.“ (S. 69ff)

Damit wird nun aber verlangt, gewissermaßen des Herzstück des Kapitalismus, nämlich die Bilanz des kapitalistischen Unternehmens, auch für den Staat zu übernehmen.

Wenn die Autoren schreiben „Kaum ein Unternehmen hat des gesamten Anlage- und Umlaufvermögen durch Eigenkapital finanziert. Die Summe der Vermögenswerte eines Unternehmens - die Aktiva - determinieren die Bilanzsumme. Die Passivseite der Bilanz gibt an, wie diese Aktiva finanziert sind und unterscheidet in erster Linie zwischen dem Eigenkapital, das auch als Verbindlichkeit des Unternehmens an die Gesellschafter charakterisiert werden kann, und dem Fremdkapital, also den Verbindlichkeiten gegenüber Banken und sonstigen Gläubigern beziehungsweise den Rückstellungen für zukünftig erwar¬tete Verbindlichkeiten“ (S. 66), dann sagen sie hier erstaunliches. Und stützen im Sinne der Neoliberalen eine "Vermögensillusion". Frage: Hat das Unternehmen überhaupt Vermögen, wenn diesem gleich hohe Verbindlichkeiten - Schulden -- gegenüberstehen? Ist das Unternehmen nun reich oder arm?
Und: Was ist dieses Vermögen überhaupt? Ist es Vermögen in sich selbst, also intrinsches Vermögen? Der Blick in jede Bilanz macht das rasch zunichte. Die Bilanz 2005 der voest-alpine weist bei einer Bilanzsumme von € 5.355 Mill. ein Vermögen aus Forderungen in Höhe von € 1.110 Mill. aus. Vermögen demnach Schulden anderer. So aber wie das „erhofftes Geld“ ist, beruhen auch die anderen Vermögenspositionen auf Hoffnungen auf Geldeinnahmen beim möglichen Verkauf. Und zwar auf Geldeinnahmen, die höher sind als die Geldausgaben ehedem: „Kaufen, um teurer zu verkaufen“. (K. Marx)

Dieser Meinung wird ja gerade nicht widersprochen, wenn die Autoren schreiben:
„In der Doppik ist der Jahresgewinn der durch Betriebsvermögensvergleich festge¬stellte Unterschiedsbetrag zwischen dem Eigenkapital am Ende und zu Beginn des Wirtschaftsjahres. Werden Vermögenswerte (Anlagen, Immobilien, Beteiligungen) angeschafft oder zu Buchwerten verkauft, so hat das keinen Einfluss auf den Jahresge¬winn, weil dem Geldfluss ein Vermögenszugang oder -abbau gegenübersteht.“ (S. 69)

Mit dem Verkauf wird ja nur bestätigt, was vorher mehr oder minder richtig als monetärer Vermögenswert buchhalterisch angesetzt wurde. Auf diesen Verkauf allein ist ja der Vermögenserwerb ausgerichtet: Aus Geld mehr Geld zu machen. Und wenn die Hoffnung – die Keynes’sche zukünftige Erwartung – groß genug ist, „kaufen, um teurer verkaufen zu können“, dann werden sich die Unternehmen auch zusätzlich über Kredite verschulden: „Die Eigenkapitalquote dieser Unternehmen ist zwischen 2003 und 2004 gestiegen. Trotzdem haben sich diese Unternehmen zwischen 2003 und 2004 auch zusätzlich neu verschuldet, um das gestiegene Unternehmensvermögen und die damit zusam¬menhängende Erweiterung der Geschäftstätigkeit finanzieren zu können, nämlich von knapp 23 auf 26,2 Milliarden Euro“ (S. 68)

Die Unternehmensbilanz ist nun ein Statusreport, also etwas statisches, hinter dem sich aber sehr viel Dynamik verbirgt: Die Aktiva wachsen nicht nur von Jahr zu Jahr an, es sind auch andere geworden, ebenso wie sich die Passiva durch Tilgung alter und Aufnahme neuer Kredite verändern. Das heißt: Es geht den Unternehmen nicht um die Akkumulation von handfestem Besitz, von den Menschen dienenden Gütern und Anlagen, sondern um die Akkumulation von gegen Geld veräußerbarem Eigentum. Das aber braucht Bewegung, die dann auch im anderen Teil des Geschäftsberichtes, der GuV-Rechnung, deutlicher erkennbar wird.

Um was es hier geht, ist, um es mit Aristoteles zu sagen, Kremastitike, Krämerwirtschaft. Es geht um den Gewinn, den Profit der ganzen Unternehmung. Diese Gewinnrechnung soll muss aber nach dem Verlangen der Autoren nun auch gesamtvolkswirtschaftliche betrachtet werden.

Wenn in der GuV-Rechnung der Jahresgewinn als Überschuss der Erträge über die Kosten ausgewiesen wird, dann stellt sich nämlich makroökonomisch die Frage, wie denn nun die konsolidierten Erträge aller Unternehmen höher sein können als deren Kosten? Wie geht das, was offensichtlich geht? „Die Frage ist nicht: Wo kommt der Mehrwert her; sondern, wo kommt das Geld her, um den Mehrwert zu versilbern?“ schreibt K. Marx.

Des Rätsels Lösung liegt einmal darin, dass die Ausgaben für längerfristige Investitionen bei den Verkäufern des Investgüter sofort buchwirksam werden, während die Kosten bei den Investierenden erst nachträglich über Jahre als Abschreibungen verbucht werden. Und liegt darin, dass ein maroökonomisch positiver Gewinnsaldo nur dann entstehen kann, wenn die Wirtschafts wächst, also von Jahr zu Jahr mehr investiert wird. Und so die Gesamtschulden wachsen.

Genau um die Geldmacherei geht es dem Staat und seinen Gebietskörperschaften primär nicht. Hier geht es um Oikonomike, Haus- oder Versorgungswirtschaft. Es geht um die Ansammlung von Manifestem, nutzbarem Besitz im Eigentum der öffentlichen Hand, mit dem der ganzen Gesellschaft Dienste geleistet werden können. Darum schreiben ja auch die Autoren: „Wenn auf gesamtwirtschaftlicher Ebene der Staat als wirtschaftspolitisch Verant¬wortlicher ein Investitionskalkül für seine Budgetpolitik .. anstellen soll, müsste er gesellschaftliche Nutzen (Outcome, gesellschaftliche Wohlfahrt) anstelle von Markterlösen und gesellschaftliche Kos¬ten (Gemeinschaftskosten zusätzlich zu den Marktkosten) kalkulieren.“ (S. 73)

Von der Frage, wie das aber nun gehen soll, ob mit der Bewertung gesellschaftlichen Nutzens Bankforderungen bedient werden können, wird mit der nachfolgenden Polemik abgelenkt.

Genau diese offene Frage aber ist der schwache Punkt der Überlegungen. Die Investitionsrechnung kann solange nicht angestellt werden, als das monetäre Deficit spending nicht durch ein monetäres Profit collecting ergänzt wird. Heute werden ja hier viele doppelt entlohnt: Einerseits mit ihrem Anteil am gesellschaftlichen Nutzen der staatlichen Investitionen, andererseits auch noch mit zusätzlichen Geldeinkünften. Das aber kann nicht solidarische Wirtschaftspolitik sein. Der gesellschaftliche Nutzen des von der Dorfgemeinschaft gemeinschaftlich errichteten Feuerwehrhauses ist zugleich und allein der Lohn für all die hierfür geleistete Arbeit.

Mit der verlangten Umstellung von der Kameralistik auf die Doppik ist deshalb noch nichts gewonnen, so lange nicht auch eine GuV-Rechnung aufgemacht werden kann. Zumindest eine mit einem Null-Gewinn. Die Bilanz verkommt sonst zu einer reinen Auflistung von Erwerbungen und diesen gegenüberstehenden Schulden. Die Schulden bleiben aber trotzdem Schulden, weil „das Haus, in dem wir wohnen, eben nicht zum Verkauf steht“. So liest es sich wie eine Ausflucht, wenn darauf hingewiesen wird, der Staat wäre der beste Schuldner. Staatsschulden stellen ja gemäß ihren Worten „vergleichsweise sichere Vermögenswerte für private Finanzanlegerinnen dar und erfreuen sich hoher und Nachfrage, wenn das Anlageverhalten auf sicheres Ansparen statt auf riskante und potenziell hoch profitable Spekulationsgewinne ausgerichtet ist.“ (S.72)

Hier wird Marketing für die Veranlagung in Staatspapieren betrieben, aber gerade nicht solidarische Wirtschaftspolitik. Die Autoren selbst stellen ja fest, „dass Staatsverschuldung Umverteilung von Steuerzahlerinnen zu Rentiers (FinanzvermögensbesitzerInnen) bedeutet.“
Doch wird mit der Aussage „Sollen die auf Grund der Staatsverschuldung bestehenden Zinszahlungen nicht durch Aufnahme weiterer Staatsschulden finanziert werden, dann haben die Zinsen aus den Abgabeneinnahmen bezahlt zu werden. Die Zinsenzahlungen des Staates stellen dann Zinseneinkommen für die Rentiers dar“ (S.72) einmal mehr zu kurz gegriffen. Denn es geht nicht nur um die vorhandenen Ersparnisse, die in Staatspapieren zinstragend angelegt werden. Es geht auch um das aus Krediten neu geschöpfte Geld. Stets aber bleiben die Schulden beim Staat hängen, während mit dem daraus hervorgehenden Geld erst einmal die Kredite und Zinsen der aufgenommenen Kredite der Unternehmen bedient, darüber hinaus aber auch noch Gewinne verbucht werden können.
Der Staat betreibt auf diese Weise Umverteilung zu den Unternehmen, weil sonst deren GuV-Rechnung nicht aufgeht. Deshalb gilt ja Keynes als Retter des Kapitalismus

Das vorgeschlagene deficit spending & profit collecting ist nun auch mit unserem heutigen weltweit akzeptierten Kreditgeld möglich. Allerdings besteht dabei die Gefahr, dass die einzelstaatlichen Maßnahmen in der globalisierten Wirtschaft verpuffen. Anders ist das, wenn der einzelne Staat mit Steuergutschriften zahlt, wie im TAXOS-Vorschlag aufgezeigt wird. (www.taxos.info)

Lieber Erich, mein Schreiben ist für einen vielbeschäftigten Politiker sicherlich zu lange geraten. Es ist aber auch an die Autoren – und Deine Berater - gerichtet, die Dir ja Ihre Meinung dazu mitteilen können. Ebenso aber an Johann Mayr, Klaus Luger, Hubert Hummer und Harald Wildfellner , mit denen ich bei einem Glas Wein bereits vor nahezu einem Jahr recht heftig über dieses Thema – wie mir jetzt aufgeht – diskutiert habe.

Mit liebem Gruß

Ernst

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